Chronik Herzsport

Chronik Herzsport

Herzgruppen in Berlin bei Zehlendorf 88

Bericht von Dr. Ulrich Kiwus aus seiner Sicht als Leiters der kardiologischen Abteilung des Reha-Zentrums Seehof  (verfasst im Jahre 2008)

files/verein/bilder/Chronik/Koronar Dr. Kiwus.jpg  Dr. Ulrich Kiwus

Nach Gründung der ersten Herzgruppe in Westberlin im Jahre 1983 war auch Z 88 schnell bereit in dieses neue Feld des Gesundheitssports einzusteigen und Herzgruppen aufzubauen. Von 1983 bis 1990 betreute ich jene erste, noch von Prof. Dr. Harald Mellerowicz initiierte und der Reanimationsabteilung des damaligen Universitäts-Klinikum Charlottenburg ärztlich überwachte Herzgruppe bei der TSG Steglitz und organisierte nach Beginn meiner Tätigkeit als Oberarzt in der Reha-Klinik Wannsee der BfA zusammen mit meiner damaligen Chefin Fr. Dr. Meister/Fuhrmann dann Herzgruppen in den Räumlichkeiten der dortigen Klinik. 1983 begannen wir mit zunächst einer Gruppe, mussten dann im Laufe der Jahre wegen der großen Nachfrage zunehmend mehr Gruppen anbieten und konnten dann nach dem Umzug der Klinik in den Teltower Ortsteil Seehof (heute Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund) pro Woche 8 Gruppen in den dortigen Räumlichkeiten die Durchführung von Herzsport ermöglichen.

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Ursprünglich waren die Herzgruppen, deren Bezeichnung sich im Laufe der Zeit von Herzsport-Gruppen in Herzgruppe und zuletzt in ambulante Herzgruppe änderte, nur für einen Zeitraum von 2 Jahren mit der Möglichkeit einer Verlängerung gedacht. Offensichtlich hat das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung der Herzgruppenmitglieder einen so ausgeprägten gruppendynamischen Prozess ausgelöst, dass die Beendigung der ambulanten Herzgruppen (aHG) nach dem dafür vorgesehenen Zeitfenster und Überführung in eine ambulante Nachsorgegruppe [aNG] (gleiche Gruppe, spezialisierte Physiotherapeuten aber ohne direkte ärztliche Beaufsichtigung ) nicht oder nur selten stattfand und die Gruppen oft über viele Jahre und teilweise Jahrzehnte mit nahezu unverändertem Teilnehmerkreis fortgeführt wurde. Einerseits belegt dies die gute Atmosphäre, die Sinnhaftigkeit von Herzgruppen und damit deren Erfolg, andererseits führt es aber immer wieder zu Problemen für nachrückende Betroffene, die nach akutem Herzinfarkt, Bypassoperation, Herzklappenersatz, wegen zunehmender Herzinsuffizienz oder nach erfolgter Herztransplantation keine freien Plätze in einer Herzgruppe finden. Wir müssen diese Problematik im Auge behalten.
Nach 15 Jahren kann auch für die vielen Herzgruppen unseres Vereins ein wenig Bilanz gezogen werden. Die koronare Herzerkrankung ist und bleibt eine chronisch verlaufende und in ihren akuten Zuständen lebensbedrohliche Erkrankung. Das akute Koronarsyndrom subsumiert heute die instabile Angina pectoris, den Herzinfarkt ohne EKG-Veränderungen (NSTEMI) und den Herzinfarkt mit typ. Veränderungen (STEMI). Die Lebensstiländerung und damit Verbesserung bestehender Risikofaktoren führt nachweislich zu einer Verbesserung der Lebensprognose. Dabei kommt der Bewegungstherapie – besonders dem Ausdauertraining- eine herausragende Bedeutung zu. Im Rahmen der Phasentherapie der WHO ist nach der akutmedizinischen Versorgung des akuten Koronarsyndroms [AKS] (mittl. Verweildauer im Krankenhaus 8,7 Tage) heute eine Anschlussbehandlung (AHB) über 21 Tage gesetztlich vorgesehen –in jedem Alter – und eine Herzgruppe über einen Zeitraum von ca. 30 Monaten bzw. 90 Einheiten. Da die Phase der ersten Wochen und teilweise Monate als komplikationsintensiver eingeschätzt werden und unter Ausdauertraining erhöhte Puls- und Druckwerte erreicht werden, geht man auch von einer höheren Gefährdung während des Herzgruppentrainings aus und hat für dessen Durchführung Standards aufgestellt, deren Einhaltung einen Notfall im Rahmen der Herzgruppentherapie unwahrscheinlich- und im seltenen Falle des Eintretens in der Regel beherrschbar machen. Die Bilanz der Gruppen, die in den Räumen unserer Klinik stattfinden, belegen dies gut – in den vergangenen 15 Jahren gab es kein einzigen schweren Zwischenfall, insbesondere keine Wiederbelebung während des Herzgruppentrainings. Nach solchen Aussagen fühlen sich viele bestätigt, in der Herzgruppe – also unter ärztlicher Obhut – zu verweilen, und ausschließlich hier ihren Sport zu treiben,“ weil ja doch mal was passieren könnte“. Dies ist für die erste Zeit nach dem Koronarereignis richtig, gilt aber nicht für den gesamten Zeitraum und schon gar nicht für die Zeit danach. Ganz im Gegenteil – durch die Erzeugung von unbegründeter Angst und ständiger Sorge, es könnte unter Belastung etwas passieren, bauen viele Betroffene Ihr Ausdauertraining nicht auf das erforderliche Maß aus und haben damit nicht den maximal möglichen Erfolg. Es ist heute wissenschaftlich unstrittig, dass 1 mal pro Woche Ausdauertraining von einer Stunde nur einen gerade messbaren medizinischen Vorteil erbringt, wohingegen 3 – 5 Stunden pro Woche ein Optimum an gesundheitlichem Schutz versprechen. Für die „Extremisten oder viel-hilft-viel- Anhänger“ unter ihnen möchte ich mir aber auch einen Hinweis gestatten: Jenseits von 7 Stunden pro Woche Ausdauertraining ist keine prognostische Gesundheitsverbesserung oder Verlängerung der Lebensprognose belegt. Dies gilt auch für ausschließliche Ausdauertrainingseinheiten von mehr als 90 Minuten Dauer für die Gesundheitsprävention. Insbesondere der Marathonlauf ist und bleibt für Herzkranke ein Tabu. Die stundenlange Radtour oder gar tagelange Wanderung auch? Nein, wenn der Charakter solcher Touren durch Spaß, Erlebnis, Pausen, und auf seinen Körper hören geprägt ist, die Gruppengeschwindigkeit passt und der Trainingspuls im erlaubten Bereich bleibt, dann steht dem nichts im Wege. Dies alles sollten auch Themen der Herzgruppenabende sein – sprechen Sie es dort an. Mir ist es nach all den vielen Jahren der Arbeit mit und für Herzgruppen wichtig, dass die Herzgruppe nicht als Alibifunktion herhalten muss – nach dem Motto, „ich tu ja was für mich“. Die Aufgabe der Herzgruppe ist es, in Kooperation mit Ihnen, ihren Herzgruppenärztinnen und –Ärzten und Physio-Therapeuten zunächst einmal die Grundlagen und Voraussetzungen für ein eigenständiges, Frequenz- und Blutdruck optimiertes Ausdauertraining zu schaffen, das im weiteren Verlauf der Herzgruppenzeit in zunehmendem Maß zu einer eigeninitiativ geprägten Bewegungsform führen soll. Dabei soll in Einzel-wie Gruppentraining, überwiegend auf Ausdauerbasis aber auch mit den Elementen des Spiels, der Entspannung, der Gymnastik durchaus aber auch Formen des Kraftausdauertrainings vermittelt werden.
Bewegungstherapie – wenn Sie den Begriff Sport lieber verwenden - auch Sport, aber ohne seinen Wettkampfcharakter – soll Ihnen wieder oder überhaupt Spaß bereiten dürfen und soll mehr sein als nur eine Verbesserung der Lebensqualität und der Lebensprognose. Unser Verein bietet Ihnen diesbezüglich eine Reihe von Angeboten: z.B. Nordic-walking oder Fitnessprogramme für verschiedene Belastungsgrade. Sie können daran teilnehmen - spätestens nach Ihrer Herzgruppenzeit. Sprechen Sie mit Ihren Hausärzten darüber oder mit Ihren Herzgruppenärzten – die kennen Sie und ihre körperlichen Leistungsdaten gut und werden Sie dementsprechend beraten.
Dort, wo sich die Leistungsfähigkeit und Beschwerdefreiheit bei bestehenden Herzerkrankungen verschlechtert und ärztliche Therapienänderungen nicht den gewünschten Erfolg bringen, kann eine medizinische Rehabilitation mit intensivem Training und umfassender Bearbeitung Ihres Risikoprofils hilfreich sein. Auch wir können Sie dann – ambulant wie stationär – im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation in unserem Reha-Zentrum aufnehmen. Dazu bedarf es der Unterstützung Ihres Hausarztes oder einer Akutklinik, die einen Antrag bei Ihrer Krankenkasse stellen. Sie haben ein Wahlrecht wo es hingehen soll.
Meines Erachtens sollte Ihre Entscheidung dabei mehr die Qualität der Rehabilitations-einrichtung berücksichtigen als den Urlaubsaspekt oder die Luftveränderung.

Ich wünsche Ihnen weiterhin guten Erfolg bei der Umsetzung eines gesunden Lebensstils und eine stabile Gesundheit.

Dr. Ulrich Kiwus

 

Die Herzsportgruppen bei Z 88

 Als in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts die ersten Herzsportgruppen gegründet wurden, war dies ein neues Konzept in der Behandlung von Patienten nach einem Herzinfarkt. Noch bis in die 60er Jahre war es üblich, Patienten nach einem Herzinfarkt 6-8 Wochen lang einer strengen Bettruhe zu unterziehen.

1977 wurde in Deutschland nach den positiven Erfahrungen im Ausland von den Rentenversicherungsträgern offiziell die Anschlussheilbehandlung (AHB) nach Herzinfarkt eingeführt.

Kurz zusammengefasst verläuft das Modell in drei aufeinander aufbauenden Stufen:

  1. Akutkrankenhaus
  2. Anschlussheilbehandlung -  bis auf wenige Ausnahmen stationär
  3. Ambulante Herzsportgruppen. Diese bilden den Zielpunkt der sog. „Therapiestraße“. Die kardiologische Rehabilitation bedeutet „Leben lernen mit einer chronischen Krankheit“ (M.Halhuber), und sie verfolgt 5 Ziele für Patienten und Angehörige:

a)      Annahme der Krankheit

b)      Vermittlung von Wissen über die Krankheit

c)      Mitmenschlicher Rückhalt

d)      Therapietreue und Verhaltensdisziplin

e)      Optimierung aller Organfunktionen.

 

Der Erfolg dieses Konzeptes zeigt sich in der zunehmenden Anzahl der teilnehmenden Patienten und in dem langen Bestehen der Herzsportgruppen bei Z 88.

Die erste Gruppe wurde im Juni 1982 gegründet. Initiiert wurde sie durch den damaligen Chefarzt der Rehabilitationsklinik in Wannsee, Dr. Dransfeld. Die Klinik zog 1997 nach Berlin-Teltow und heißt seither Reha-Klinik Seehof.

Als ich damals die telefonische Anfrage bekam, bei Z 88 Herzsport durchzuführen, traf ich mich mit der damaligen OÄ Dr. Meister und der damaligen Chef-KG Frau Giehse samstags zur sog. Hospitation. Gleich beim ersten Termin rannte ich mit dem Defibrillator über den Rasenplatz. (Er wurde dann nur zur Ableitung eines EKG benötigt, zeigte aber, wie bedeutsam eine medizinische Abklärung und Eignungsfeststellung ist.)

Danach wuchs die Zahl der Teilnehmer: Von anfänglich einer Gruppe am Samstag erhöhte sich die Zahl auf drei Gruppen, die hintereinander ihre Übungszeiten absolvierten. Die dritte Gruppe bestand dann aus Teilnehmern, die den Herzsport nach 1-3 Jahren Finanzierung durch die Kassen auf eigenen Wunsch durchführten. Diese Gruppen trainierten nunmehr ohne ärztliche Betreuung: Die Teilnehmer waren gesundheitlich stabil, das Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden entsprach dem Risiko in der normalen Bevölkerung. Allerdings verfügen Herzsportler über das Wissen, wie sie das Auftreten eines Herzinfarkts vermeiden oder erkennen können.

In den folgenden Jahren zeigte sich das erfolgreiche Konzept auch darin, dass die Teilnehmerzahlen in den Gruppen so hoch anstiegen, dass nach weiteren Übungsstätten und Zeiten, sowie nach qualifizierten Leitern gesucht werden musste.

Die ärztliche Betreuung wechselte in all den Jahren mehrmals: Da die Ärzte die Betreuung der Herzsportgruppen zusätzlich zu ihrer normalen Praxis- und anderen beruflichen Tätigkeiten ausübten, wurde dies für den einen oder anderen nicht mehr vereinbar. Den Gruppen treu geblieben ist jedoch Frau Dr. Sakidalski. Seit etlichen Jahren ist die Betreuung weiblich: Frau Dr. Sakidalski, Frau Dr. Voss, Frau Lukrezia Schmidt und ich. Bei Verhinderung haben wir bewährte und beliebte Vertretungen.

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Mittlerweile hat der Verein 12 Herzsportgruppen, die auf dem Gelände von Z 88 und in Seehof üben und trainieren -  sowohl mit ärztlicher als auch ohne ärztliche Betreuung. Außerdem haben sich ehemalige Teilnehmer in eigenen Gruppen „abgenabelt“ und trainieren z. B. in Wannsee.

Die Teilnehmer der Herzsportgruppen erleben durch die Teilnahme am Herzsport die positiven Auswirkungen des Sports. Einige berichten sogar, dass sie leistungsfähiger sind als Freunde oder Bekannte, die sich nicht sportlich betätigen. Und der Sport wird vermisst, wenn der Urlaub die Teilnahme verhindert und der Körper „Entzug“ meldet.

 

Am 22. September 2012 trafen sich Koronarsportlerinnen und –sportler anlässlich des 30. Jahrestages der Herzsportgruppen des Zehlendorfer Turn- und Sportvereins von 1888 e. V.  mit der Kursusleiterin Dipl. Psychologin Helga Petrat und Ärztin Dr. Barbara Sakidalski in Friedrichshagen zu einer Dampferrundfahrt auf dem Müggelsee.

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